Energieexperte zu Gast bei nachhaltigem Politik-Talk
Berlin – Im Vorfeld der Klimakonferenz, die am 30. November in Paris beginnt, hat die Partei für Nachhaltige Erneuerung ein öffentliches Expertengespräch mit Immanuel Thoms organisiert. Thoms betreut als Elektroingenieur unter anderem On- und Offshore-Windkraftanlagen. In seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt er sich allgemein mit den Grundproblemen nachhaltiger Energieversorgung.
Beim Gespräch in Berlin-Pankow verdeutlicht er den Gästen in seinem Impulsvortrag schnell, welche Vorteile die Erneuerbaren Energien insgesamt haben: Selbst, wenn für die Erzeugung einer erneuerbaren Kilowattstunde an sich leicht höhere Kosten anfallen sollten, als für die „konventionelle“ Erzeugung mit fossilen Brennstoffen oder Atomenergie, sind die Kosten insgesamt doch deutlich geringer. Denn bei der Berechnung für die fossile oder atomare Energieerzeugung würden viele weitere Kosten häufig nicht berücksichtigt. So erscheinen zum Beispiel Subventionen oder Folgekosten für die Reinigung von verunreinigtem Grundwasser nicht auf der Stromrechnung, werden aber aus Steuergeldern vom Verbraucher finanziert. Solche Kosten entstehen mit Erneuerbaren Energien nicht. Zudem haben die Erneuerbaren Entwicklungspotenzial: Thoms weiß zu berichten, dass die Offshore-Windanlagen, an denen er derzeit arbeitet, noch einiges bieten können. Sie drehen sich zu 40 % mehr in voller Last als vergleichbare Anlagen an Land.
Das Publikum schaltet sich ein: Ob Windkraftanlagen im Meer nicht auch signifikante Umweltrisiken mit sich brächten? Thoms versteht die Sorge um die Meeresbewohner in neu errichteten Anlagen. Er kann aber von einem Modellprojekt berichten, in dem spezielle Luftschläuche die von den Anlagen verursachten Vibrationen abmildern. Und Thoms kann auf eine Besonderheit verweisen: Bedrohte Fischbestände erholen sich innerhalb von Offshore-Windparks wesentlich schneller als im offenen Meer. Woran das liegt? Thoms kennt die verblüffende Antwort: In den Windparks ist das Fischen streng untersagt. Die Meeresbewohner profitieren also sogar von der Errichtung von Offshore-Windparks.
Auch andere Fragen werden besprochen: Wie lange hält ein Windkraftrad eigentlich und was passiert nach der Deinstallation? Die Antwort vom Experten: Gegenwärtig werden Windräder für 20-30 Jahre ausgelegt und können danach zum größtem Teil recycelt werden. Und auch an der Wiederverwertbarkeit der Rotorblätter werde bereits gearbeitet. Die Idee hier ist, die Glasfaserelemente künftig durch leichte und recylcelbare Aluminiumteile zu ersetzen.
Ein anderer Gast möchte wissen, ob Thoms nicht Angst um das Stromnetz habe, wenn der Anteil der Erneuerbaren Energien weiter steige? Nein, beruhigt Thoms. Im Gegenteil wäre für ihn sogar die dauerhafte Abschaltung einiger Braunkohle-Kraftwerke wünschenswert, da diese gegenwärtig den Energiemarkt eher „verstopfen“, anstatt ihm weiter zu helfen. Natürlich müsse man aber auch über Speichermöglichkeiten nachdenken. Am Sinnvollsten erscheint derzeit die Speicherung von Energie durch Transformation in Gas, das dann bei Bedarf ins Erdgassystem eingeleitet und wieder in Energie umgewandelt werden kann.
Thoms verweist zudem auf einen weiteren Aspekt: Die europäische Zusammenarbeit kann im Zusammenhang mit den Erneuerbaren Energien besondere Vorteile bieten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Wind, Wasser und Sonne in allen Ecken Europas gleichzeitig ausbleiben, ist ausgesprochen gering. Ein funktionierendes europäisches Leitungsnetz und die weit verbreitete Produktion von Energie aus erneuerbaren Energieträgern ist also außerordentlich vorteilhaft.
Dennoch werden solche Pläne auch kontrovers diskutiert. Das Publikum fragt nach, ob Thoms sich nicht hineinversetzen könne in diejenigen, vor deren Haustür nun Windkrafträder oder neue Stromtrassen gebaut würden? Thoms ausdrücklich persönliche Meinung dazu ist klar: Natürlich habe er Verständnis für diejenigen, die vom Umbau der Energieversorgung in besonderer Weise betroffen sind. Allerdings könne man nicht Energie konsumieren, ohne bereit zu sein, die Konsequenzen in Kauf zu nehmen: „Jeder, der Energie haben will, muss dafür die Kosten tragen können.“ – Selbst, wenn es gelinge, den Energieverbrauch signifikant zu senken, blieben ohne den Umbau der Energieversorgung die immensen Kosten, die aus fossiler und atomarer Energieversorgung für zukünftige Generationen entstehen, bestehen.
Daher ist Thoms Plädoyer eindeutig: Es ist wünschenswert und realistisch, bis 2050 in Deutschland 100 % der Energieversorgung durch erneuerbare Energieträger zu gewährleisten. Dies bestätigten nicht nur Umweltorganisationen wie Greenpeace, sondern auch unabhängige Stellen wie das Fraunhofer-Institut. Ob es tatsächlich so kommt, sei ausschließlich eine Frage des politischen Willens.
Hier schaltet sich der Vorsitzende der Partei für Nachhaltige Erneuerung, Peter Kuscher, der das Gespräch moderiert, kurz ein. Wenn Thoms eine Wunschliste an die Politik formulieren dürfte, was würde dort stehen?
Thoms muss nicht lange nachdenken: Er wünscht sich, dass trotz populistischer Verlockungen nicht an der Stabilität der Zulage für Erneuerbare Energien gerüttelt wird. Sie belaste zwar geringfügig die Verbraucherinnen und Verbraucher, sichere aber langfristig Investitionen in die Erneuerbaren Energien. Außerdem wünscht er sich, dass dem Lobbyismus von großen Energie- und Ölkonzernen konsequenter entgegengetreten wird.
Im Hinblick auf die Klimakonferenz in Paris wünscht sich Thoms vor allem eines: Dass die Staaten sich auf die intensive Förderung regenerativer Energien verständigen.
Den Verhandlern gibt er zusammen mit diesem Wunsch auch ein Versprechen auf den Weg: „Es lohnt sich!“